S C H E I S S E
Jeden Tag die gleiche Scheiße.
"Scheiße. Scheiße. Und wieder Scheiße. Das Perfide daran: Es ist immer wieder die gleiche Scheiße, die ich morgens zu hören bekomme. Erst kommt sie aus dem Radiowecker. Die Scheiße. Dann im Bad, aus dem roten, betonverschmierten Baustellenradio. Das auf dem selbstgezimmerten Eichenregal. Egal. Beim Morgenschiss vereint sie sich mit der meinigen. Wenige Minuten später dann, da kommt sie aus der Küche. Die Scheiße. Aus dem alten Cassettenradio, das ich für zu viel Geld im Internet ersteigert hatte. Wie auch immer. Ihr wisst, welche Scheiße ich meine. Richtig. Genau diese Scheiße meine ich. Die immer und immer und immer wieder gleiche Scheiß-Radiomusik. Als ob die meisten Senderanstalten seit einem halben Jahrhundert täglich die gleiche CD abdudeln. Fast kommt es mir vor, dass ich murmeltiertmäßig, … Ihr kennt den Film, oder nicht? Ja, Ihr kennt ihn. Also, dass ich wie Bill Murray, alias Phil Conners im Film, jeden Morgen wieder mit der gleichen Scheiße in den Tag ausgeschissen werde. Mit dem kleinen, aber hörbaren Unterschied, dass „I Got You Babe“ von Sonny & Cher keine Scheiße ist. Denke, den könnte ich täglich ertragen. Aber die Scheiße, die mir eingetrichtert wird, mittels Rundfunkbeitrag erpresster Gelder, ist, für meinereiner die reine Folter. Möglicherweise kommt der ein oder die andere mit der gesendeten Scheiße klar, ohne augenblicklich in Versuchung zu geraten, dem ersten Menschen auf der Straße, der möglicherweise noch eines der zuvor gehörten Scheißlieder pfeift, gehörig in seinen Allerwertesten zu treten.
Jetzt fragt sich sicher manch einer, warum ich die Scheiße nicht abstelle. Erst gar nicht das Radio anstelle? Scheiße, ich brauche Musik um die Ohren, morgens in der Früh. Sonst komme ich nicht in die Gänge. Kurz nach fünf. Länger kann ich nicht schlafen. Im Bett durchhalten. Meist wegen dieser Scheißträume, die mich peinigen. In mancher Nacht mit rasendem Herz, durchgeschwitzt aus schlechtem Schlaf, schrecken. Aber das ist eine andere Sache. Dazu komme ich beizeiten an anderer Stelle zurück.
Im Grunde ist manch Lied, das tagtäglich immer und immer wieder heruntergedudelt wird, nicht wirklich vom Übel. Aber tagtäglich. Manch ein Interpret gar stündlich? No way! Das gleicht einer chinesischen Wasserfolter.
Echt, die können mich alle. Alle können mich mal. Na, nicht alle. Aber die meisten. Okay. Vielleicht nicht einmal die meisten. Aber der eine oder die andere schon, und aus guten Grund.
Es ist ja nicht nur die tägliche Scheiße aus dem Radio, die einen fertig macht. Da gibt es noch so unendlich mehr. Ach Scheiße, scheiße, scheiße …
Halten wir an dieser Stelle einmal inne. Ich habe ihn euch bis jetzt ja noch gar nicht vorgestellt. Diesen ärgerlichen Mann, der zu oft das Wort „Scheiße“ bemüht. Der hörbar die Faxen dicke hat. Insbesondere an diesem düster-verregneten Tag vom deutschen Radioprogramm. Der Mann heißt Wotan. Engel mit Nachnamen. Wenn sich Vor- und Nachname mal nicht gegeneinander aufwiegen, na, dann weiß ich auch nicht.
Also. Wotan Engel steht unter besonderer Beobachtung. Unter meiner. Dem Chef selbst. Dem Strippenzieher im irdischen Betrieb. Seit tausenden Jahren schon lenke ich die Geschicke auf der Erde. Verborgen hinter dem Vorhang ihrer Welt. Ihr fragt euch vielleicht, warum ich mich um eine so unbedeutende Seele selbst kümmere? Nun:
Ich habe ihn irgendwie gern. Diesen Wotan Engel. Höre ihm beizeiten interessiert zu. Das mache ich, seit er sein erstes Buch las. Ihm zuhören. Nur zuhören und beobachten. Nicht mehr. Sonst wäre es langweilig. Lieber warten auf den Moment, wo er von sich aus, ohne dass ich Spielchen treibe, mir seine Seele im Tausch anbietet. Nur eine Frage der Zeit. Allzu lange hält er nicht mehr durch. Nicht in dieser Zeit, kurz vor der großen Abrechnung. Der kleine Wotan, mit seinen belanglosen Sorgen und Ängsten. Bald ist Erntezeit. Bald schon.
Text: Torsten Kandziora – Foto: CBGB
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